TV-Kritik: "Tatort Internet - Schützt endlich unsere Kinder" startete auf RTL 2

RTL 2 hat am gestrigen 7. Oktober um 20.15 Uhr kurzfristig die erste Folge der Sendereihe "Tatort Internet - Schützt endlich unsere Kinder" ins Programm genommen. Für heise online hat sich der renommierte Medienjournalist Stefan Niggemeier die Sendung angeschaut.

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RTL 2 hat am gestrigen 7. Oktober um 20.15 Uhr kurzfristig die erste Folge der Sendereihe "Tatort Internet - Schützt endlich unsere Kinder" ins Programm genommen. Nach eigenen Angaben will RTL 2 "ernste Bedrohungen thematisieren", die durch Internet-Chats enstehen. Stephanie zu Guttenberg und Julia von Weiler von "Innocence in Danger" "stehen mit ihrer Expertise zur Seite", teilte der Sender vorab mit.
Für heise online hat sich der freischaffende Medienjournalist Stefan Niggemeier die Sendung angeschaut. Niggemeier war von 2001 bis 2006 verantwortlicher Medienredakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. 2004 gründete er das BILDblog. 2005 erhielt er für dieses Blog den Grimme-Online-Award, 2007 dann für sein eigenes, medienkritisches Blog .

Man sah Beate Krafft-Schöning an, wie sehr sie diese Gelegenheiten genoss. Die Minuten, in denen sie den Männern gegenüber saß, die ihr in die Falle gegangen waren. Die sie in einem Chat im Internet angesprochen hatten, in dem sie sich als 13-jähriges Mädchen ausgegeben hatte; die diesem Kind, das sie auf der anderen Seite der Datenverbindung vermuteten, pornographische Bilder geschickt hatten, sexuelle Botschaften und Aufforderungen; die sich mit diesem Kind unter dem Siegel der Verschwiegenheit verabredet hatten, um es zu missbrauchen.

Die Vorbereitungen von Krafft-Schöning und dem Fernsehteam von RTL 2 sind wie ein klassischer Krimi inszeniert: Wir sehen das Kamerateam und die selbsternannten Ermittler im Haus, in das der potentielle Kinderschänder gelockt werden soll. Es ist unsicher, ob er wirklich erscheinen wird. Hat er etwas bemerkt? Wird er überhaupt erscheinen? Und wenn ja, wie groß ist das Risiko für die junge Schauspielerin, die das Kind darstellt, mit dem er sich zu treffen glaubt?

Sicherheitshalber, damit die Spannung in keiner Sekunde nachlässt, ist alles absurd schnell geschnitten und ununterbrochen mit dramatischster Filmmusik unterlegt. Doch die Elemente der Ermittlung und Fahndung sind nicht das zentrale, das einzigartige Element von "Tatort Internet", der neuen zehnteiligen Doku-Reihe von RTL 2. Es ist das, was die klassische Stelle des Verhörs einnimmt. Als überführt gilt der Täter ohnehin -- die Chats sind alle dokumentiert, Fotos von sich selbst hat er meist irgendwann gemailt, und davon, dass er seine sexuellen Absichten auch in die Tat umsetzen würde, gehen alle mal aus.

Aber Krafft-Schöning nutzt mit sichtbarer Genugtuung die Gelegenheit, die Überrumpelten vor laufender Kamera mal richtig bloßzustellen. Sie macht sich lustig über ihre offenkundigen Lügen. Sie fragt sie, was sie immer schon mal einen Kinderschänder oder Möchtegernkinderschänder fragen wollte: "Finden Sie das in Ordnung? Warum machen Sie so etwas? Was verleitet einen 44-jährigen Menschen dazu, so etwas dazu zu tun? Was würde ihre Frau dazu sagen? Was ist das für eine Sprache, die Sie benutzen, mit einem Kind?" Und wenn die Ertappten endlich aufhören mit den hilflosen oder dreisten Erklärungsversuchen und kapitulieren und schweigen, fragt sie sie immer weiter: "Möchten Sie noch was sagen? Wieso sprechen Sie jetzt nicht mehr mit mir? Wollen Sie nicht mehr mit mir reden? Wenn das einer mit Ihrer Tochter mal macht, was werden Sie dann tun?" Und schließlich: "Hallo?"

Diese Szenen, in denen Krafft-Schöning triumphiert vor den Männern sitzt, die möglicherweise gerade noch kurz davor waren, sich an einem 13-jährigen Mädchen zu vergehen, und nun wimmern und stammeln, diese Szenen machen einen großen und den entscheidenden Teil von "Tatort Internet" aus. Sie dienen nicht der Aufklärung, sie bieten keinerlei Einblick in das, was in so einem Menschen vorgeht. Sie müssen als eine Art Ersatzstrafe fungieren, wenn schon die juristischen Folgen in den meisten Fällen zu vernachlässigen sind: Wenigstens diese bohrenden Fragen, so unbeantwortbar sie auch sind (als könnte ein pädophiler oder pädosexueller Mensch seinen Trieb erklären), soll der Angeklagte über sich ergehen lassen. Das hat gleichzeitig etwas verzweifelt Hilfloses -- und merkwürdig Sadistisches, weil Frau Kraft-Schöning, die resolute Journalistin, die das Thema seit Jahren beackert und dabei eine nachlesbare Radikalität entwickelt hat, es so offensichtlich auskostet. (Anders als im amerikanischen Originalformat "How to catch a predator", zu dessen unrühmlicher Geschichte der Selbstmord eines Verdächtigen gehört, sind die mutmaßlichen potentiellen Täter bei RTL 2 unkenntlich gemacht.)

Die Nachrichtensprecherin in den "RTL 2 News" unmittelbar vor der Show hat über Stephanie zu Guttenberg, der Präsidentin des Kinderschutzvereins "Innocence in Danger" und Frau des Bundesverteidigungsministers, gesagt: "Ihr geht es mit der Sendung nicht um Effekthascherei, sondern um Aufklärung." Guttenberg hatte sich als eine Art Patin zur Verfügung gestellt, damit "Bild" am Donnerstag PR-trächtig und im Kern falsch titeln konnte: "Stephanie zu Guttenberg jagt Kinderschänder im Fernsehen". Bei aller Effekthascherei, die die Frau, der Sender, die Produktion mit der Sendung betreiben: Natürlich hat es einen aufklärerischen Effekt, Eltern und Kinder davor zu warnen, wie leicht es für Pädophile ist, sich im Internet an Minderjährige heranzumachen.

Das tut die Sendung. Das ist aber auch das einzige, was sie tut. Der Rest ist frivole Spannung und bleibt auf dem hysterisch-hilflosen Niveau des Untertitels: "Schützt endlich unsere Kinder!" Weder der Adressat dieser Aufforderung, noch das dafür geeignete Mittel wird je klar genannt. (Als könnte es eines geben.)

Eine Gesetzesänderung soll her, fordert Julia von Weiler, die Geschäftsführerin von "Innocence in Danger": Schon die Anbahnung des sexuellen Missbrauchs eines vermuteten Minderjährigen soll strafbar werden. Darüber kann man vielleicht reden, aber wenn die Sendung unwillentlich eines deutlich machte, dann das: Dass eben nicht feststeht, was jemand, der sich verbal sexuell an eine vermeintlich 13-Jährige im Chat heranmacht und sich mit ihr zum realen Treffen verabredet, dann auch tatsächlich tun würde. "Der hatte Pläne, über die wir nur spekulieren können", heißt es einmal. "Tatort Internet" suggerierte, dass es ein Skandal sei, Menschen nicht für das verurteilen zu können, was sie vielleicht vorhatten zu tun. Es ist kein Skandal, sondern elementarer Bestandteil eines Rechtsstaates.

"Tatort Internet" vermied jede Möglichkeit, die Zuschauer jenseits der Panikmache klüger zu machen. "Pädophile Täter lauern überall", lautete einer der Merksätze der Sendung. Es ist unbestreitbar, dass das Internet es Pädophilen leichter macht, sich anonym an Kinder heranzumachen. Aber zu sagen, "der Slogan 'einmal im Netz, immer im Netz' stimmt", weil jemand ein Video, das er per Mail geschickt bekommen hat, auf seinem Computer speichern und mit seiner Veröffentlichung drohen kann, ist hanebüchener Unsinn. Fast nebenbei sagte ein Ermittler, dass Pädophile einen Bedarf an immer neuen Sex-Aufnahmen mit Minderjährigen haben, um es in der Branche tauschen zu können. Das ist vermutlich wahr, aber ein eklatanter Widerspruch zu der sonst auch von Frau zu Guttenberg vertretenen These, es handle sich um ein riesiges kommerzielles Geschäft. Schließlich entstand der Eindruck, das sexueller Missbrauch vor allem durch die Übergriffe Fremder im Internet stattfinde -- tatsächlich sind die Täter in den meisten Fällen Familienangehörige oder Bekannte.

Kein einziger Werbeblock unterbrach die Premiere der Reihe, die nun immer montags um 20.15 Uhr weitergeht. Abgesehen natürlich von den in die Sendung eingebauten Werbeblöcken für Frau zu Guttenberg. Einmal wirkt es fast, als würde Udo Nagel, der ehemalige Hamburger Innensenator, der diese "Fang den Möchtegern-Kinderschänder"-Show moderiert, diese Frau sehnsüchtig schmachtend anblicken. Meistens aber stehen sie steif nebeneinander in einem Studio, und obwohl Nagel mit seiner Unfähigkeit zum Ablesen von Texten schon genug Erinnerungen an die lustigen Polizisten in "Aktenzeichen XY" mitbringt, hat die Produktionsfirma sicherheithalber mehrere Kameras aufgestellt, so dass mindestens einer von beiden immer an der gerade verwendeten vorbeischauen kann. Vermutlich soll auch das die neue Seriosität und gesellschaftliche Relevanz von RTL 2 belegen.

Aufgrund der kurzfristigen Programmänderung musste übrigens die Wiederholung der RTL-2-Reportage "Grenzenlos geil - Deutschlands Sexsüchtige packen aus" gestern leider entfallen. (hob)